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„Ohne die Aue ist der Rhein quasi tot“ - Experte Dister nimmt zu Polderplänen Stellung. Fragezeichen hinter Vorschläge Treibers

Rheinstetten. Das Wort „Ökologische Flutungen“ führe allzu leicht Menschen in die Irre, die „sich nur oberflächlich mit der Funktion von Flussauen befassen“. Der das sagt, ist Emil Dister, international anerkannter Experte für Auenökologie. Dister, der von 1985 bis 2014 das einst zur Uni Karlsruhe (dem heutigen KIT) gehörende WWF-Aueninstitut Rastatt leitete, spricht am liebsten von „Anpassungsflutung“. Man könne es auch „Trainingsflutung“ nennen, sagt er. Anschaulich erklärte er bei einer Veranstaltung der Grünen Rheinstetten, die rund 80 Zuhörer in die Räume des Rösselsbrünnle lockte, die Funktion von Flussauen. „Der Rhein ist ohne die Aue quasi tot“, sagt er. Der Fluss lebe von der Biomasse, die in den Uferbereichen, den sumpfartigen Seitenarmen, produziert werde.Dister zitierte eine Studie aus der Schweiz: Flussauen würden dort etwa acht bis neun Prozent der Landesfläche ausmachen, aber „zwei Drittel aller Lebensgemeinschaften des Landes beherbergen“. Die Biodiversität funktionierender Auen sei besonders hoch. Das sieht der Biologe, der einst seine Doktorarbeit über „Geobotanik in der hessischen Rheinaue“ schrieb, als schlüssiges Argument für die von ihm „Anpassungsflutungen“ genannten temporären Überschwemmungen – wie sie auch beim Polder Bellenkopf/Rappenwört zwischen Au am Rhein und Rheinstetten im Süden, sowie Karlsruhe-Daxlanden im Norden, geplant sind. Eine funktionierende Aue könne Hochwasserwellen abschwächen, sagt er.


Bereits seit 1989 befasst sich Dister intensiv mit den in Planfeststellung befindlichen Polder-Plänen westlich von Rheinstetten und Karlsruhe. Dass das „so lange dauere könne man keinem vernünftigen Menschen erklären“, sagte er etwas lakonisch. Das Vorhaben des Berliner Großflughafens „BER“ sei im Vergleich dazu schon fast „ein Blitzvorhaben“. Er warb offensiv „für eine gute und sachliche Lösung“: und hält, wie er einräumte, eher wenig von den Vorschlägen des früheren Rheinstettener Dezernenten Bertold Treiber, die Wasserausleitungen aus dem Rhein bei einer Menge von 2 500 Kubikmeter je Sekunde zu begrenzen. Damit werde gar nicht mehr der ganze Polderraum erreicht, nur ein Teil der Überflutungsfläche „mit Wasser bespannt“. Folge: es gebe „keine vollständige Anpassung der Vegetation und der Arten“. Im tatsächlich eintretenden Katastrophenfall mit Hochwasser seien Schädigungen vorhersehbar.

Dister beklagte, dass seit dem Rheinausbau nach 1955 mit insgesamt zehn Staustufen zwischen Basel und Iffezheim „in Teilen des Oberrheins 90 Prozent der Auen zerstört“ seien. Es sei Aufgabe des 1988 verabschiedeten Integrierten Rheinprogramms, eine Auenrenaturierung wieder herzustellen – neben Schaffung von Hochwasserschutz. Regelmäßige Überflutungen im Polder-Gebiet würden funktionieren wie „eine Mähmaschine“: und würden „die Arten aussortieren“. Es würden „alle Hochwässer gebraucht“, sagte er. Wichtig sei „die Durchflutung mit fließendem, nicht gestautem Wasser“. Nur dann gebe es eine funktionierende Aue. Die Gesamtbilanz werde am Ende positiv ausfallen.

Zu Beginn der Veranstaltung hatte die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Rheinstettens Gemeinderat, Babette Schulz, erwähnt, dass auch im Rathaus der Stadt „die Pläne für Hochwasserschutz mindestens seit 2001 in Gemeinderatsunterlagen aktenkundig“ seien. Aus Sicht der Ettlinger Landtagsabgeordneten Barbara Saebel (Grüne) wäre der „Rückhalteraum ohne regelmäßige ökologische Flutungen nicht genehmigungsfähig“. Sie halte die Renaturierung der Auenlandschaft und den zu schaffenden Hochwasserschutz zudem „für gleichrangig“, erklärte Saebel weiter.

(BNN vom 1.3.19, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors Stefan Jehle)

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